Techniken der Anforderungsanalyse

Lernfeld 12: Kundenspezifische Systemintegration durchführen

Welche Techniken gibt es, um Anforderungen zu erheben?

Ein Überblick: Vier Wege zum Ziel

Stell dir vor, du planst als Projekt eine neue Software für dein Unternehmen. Bevor du eine einzige Zeile Code schreibst, musst du genau verstehen, was die zukünftigen Nutzenden (deine Stakeholder) wirklich brauchen. Die Anforderungserhebung ist wie Detektivarbeit: Du sammelst Hinweise und Puzzleteile, um ein klares Bild des Ziels zu bekommen. Dafür gibt es verschiedene Techniken, die sich grob in vier Kategorien einteilen lassen:

  • Befragungstechniken: Direkter Austausch mit den Menschen.
    • Techniken: Interviews, Workshops, Umfragen.
    • Beispiel: Du führst ein Interview mit einer mitarbeitenden Person aus der Buchhaltung, um zu verstehen, wie sie aktuell Rechnungen bearbeitet und welche Schritte eine neue Software vereinfachen könnte.
    • Stärken: Du erhältst detaillierte, direkte Einblicke und kannst gezielt nachfragen.
    • Schwächen: Zeitaufwendig und das Ergebnis hängt stark von den befragten Personen und deren Tagesform ab.
  • Kreativitätstechniken: Gemeinsam neue Ideen und Lösungen entwickeln.
    • Techniken: Brainstorming, Mindmapping, Design Thinking Workshops.
    • Beispiel: In einem Workshop mit dem Marketing-Team sammelt ihr per Brainstorming Ideen für innovative Features einer neuen Kunden-App.
    • Stärken: Ideal für neue, innovative Projekte, bei denen die Anforderungen noch unklar sind. Fördert die Zusammenarbeit.
    • Schwächen: Manchmal unstrukturiert; das Ergebnis ist oft eine Sammlung von Ideen, die weiter verfeinert werden muss.
  • Beobachtungstechniken: Verstehen, was wirklich passiert, nicht nur, was erzählt wird.
    • Techniken: Feldbeobachtung (Shadowing), Apprenticing (selbst ausprobieren).
    • Beispiel: Du schaust einer Person aus dem Support einen halben Tag über die Schulter (Shadowing), um die tatsächlichen Schwachstellen im aktuellen Ticketsystem zu identifizieren.
    • Stärken: Du deckst unbewusste Arbeitsweisen und implizite Anforderungen auf, die in einem Gespräch nie erwähnt würden.
    • Schwächen: Sehr zeitintensiv; deine Anwesenheit kann das Verhalten der beobachteten Person beeinflussen.
  • Dokumentations- & Analysetechniken: Aus vorhandenen Quellen lernen.
    • Techniken: Analyse von bestehenden Dokumenten (Handbücher, Gesetze, alte Tickets), Systemanalyse.
    • Beispiel: Du analysierst die technische Dokumentation einer alten Software, die abgelöst werden soll, um sicherzustellen, dass keine wichtige Funktion in der neuen Software vergessen wird.
    • Stärken: Liefert oft objektive Fakten und harte Anforderungen (z. B. gesetzliche Vorgaben).
    • Schwächen: Die Dokumente können veraltet, unvollständig oder schlichtweg falsch sein.
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Wie unterscheiden sich kreative und analytische Techniken?

Kreativität entfesseln: Das Brainstorming

Brainstorming ist eine klassische Kreativitätstechnik, um in kurzer Zeit eine große Menge an Ideen zu generieren. Das Hauptziel ist, ohne Denkverbote oder Kritik so viele Vorschläge wie möglich zu sammeln.

Die vier Grundregeln für ein erfolgreiches Brainstorming sind:

  1. Quantität vor Qualität: Das Ziel ist, eine lange Liste von Ideen zu erstellen. Die Bewertung kommt später.
  2. Keine Kritik üben: Jede Idee ist willkommen. Kritisieren, bewerten oder diskutieren ist in dieser Phase tabu, da es den Ideenfluss hemmt.
  3. Wilde Ideen sind erwünscht: Denke unkonventionell. Oft sind es die verrückten Ideen, die zu den besten Lösungen führen.
  4. Auf Ideen anderer aufbauen: Kombiniere, verbessere oder verändere die Vorschläge der anderen Teilnehmenden.

Eine Brainstorming-Sitzung, geleitet durch eine moderierende Person, läuft typischerweise in drei Phasen ab:

  1. Vorbereitung: Die moderierende Person stellt das Problem oder die Fragestellung klar vor. Beispiel: „Wir wollen Ideen für nützliche Features unserer neuen internen Azubi-App sammeln.“ Die Regeln werden erklärt und das Material (z. B. Whiteboard, Stifte) bereitgelegt.
  2. Ideenfindung: Die Teilnehmenden rufen ihre Ideen frei in den Raum. Die moderierende Person schreibt alles für alle sichtbar und ohne Wertung mit. Beispiel: „Ein Kalender für Berufsschultage!“, „Eine Chat-Funktion für Azubis untereinander!“, „Push-Nachrichten für wichtige Termine!“, „Ein Glossar für Fachbegriffe!“, „Ein Quiz zur Prüfungsvorbereitung!“
  3. Nachbereitung (nach der Session): Erst jetzt werden die gesammelten Ideen geclustert (thematisch sortiert), diskutiert und bewertet, um die vielversprechendsten Ansätze zu identifizieren und weiterzuverfolgen.

Die Rolle der Moderation ist entscheidend: Sie sorgt dafür, dass die Regeln eingehalten werden, motiviert die Gruppe und stellt sicher, dass alle zu Wort kommen.

Analyse trifft Kreativität: Wann nutze ich was?

Der Hauptunterschied zwischen Kreativitätstechniken und analytischen Techniken (wie der Dokumentenanalyse) liegt in ihrer Zielsetzung und dem idealen Anwendungszeitpunkt:

Kreativitätstechniken sind ideal, wenn …

  • … ein innovatives, neues Produkt entwickelt wird, für das es noch keine Vorbilder gibt.
  • … die Stakeholder selbst noch keine klaren Vorstellungen von der Lösung haben.
  • … es darum geht, ein Problem auf eine völlig neue Art zu lösen.
  • Praxisbeispiel: Dein Team soll eine App entwickeln, die das Lernen für die Abschlussprüfung spielerischer gestaltet. Da es hier keine festen Vorgaben gibt, ist ein kreativer Workshop ideal, um Ideen für Gamification-Elemente (Punkte, Abzeichen, Bestenlisten) zu sammeln.

Analytische Techniken sind besser geeignet, wenn …

  • … eine bestehende Software abgelöst oder verbessert werden soll.
  • … es klare gesetzliche, technische oder unternehmensinterne Vorgaben gibt.
  • … die Funktionsweise eines komplexen Ist-Zustands verstanden werden muss.
  • Praxisbeispiel: Dein Team soll das bestehende System zur Zeiterfassung modernisieren. Hier ist die Analyse der alten Systemdokumentation, der aktuellen Betriebsvereinbarung zur Arbeitszeit und alter Fehlertickets entscheidend, um sicherzustellen, dass die neue Lösung alle bisherigen (und gesetzlich vorgeschriebenen) Funktionalitäten korrekt abbildet.

Oft ist eine Kombination beider Ansätze der beste Weg: Erst die Analyse, um die Grundlagen und Rahmenbedingungen zu verstehen, und dann die Kreativität, um darauf aufbauend die bestmögliche und innovativste Lösung zu entwickeln.

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Lernziele

  • die Durchführung von Brainstorming-Sitzungen zur Anforderungserhebung erklären, indem die grundlegenden Regeln (z.B. Quantität vor Qualität, keine Kritik), die verschiedenen Phasen (Ideenfindung, Gruppierung, Bewertung) und die Rolle der Moderation für die Generierung innovativer und vollständiger Anforderungen dargelegt werden.
  • die Unterschiede zwischen Kreativitätstechniken und analytischen Techniken differenzieren, indem die Anwendungsbereiche und Zielsetzungen von Techniken wie Brainstorming oder Mindmapping (zur Ideenfindung und Exploration) denen von analytischen Methoden wie der Dokumentenanalyse (zur Ermittlung bestehender Prozesse und Regeln) gegenübergestellt werden.
  • die verschiedenen Erhebungstechniken für Anforderungen klassifizieren, indem die Befragungs-, Kreativitäts-, Beobachtungs- und Dokumentationstechniken unterschieden und deren jeweilige Stärken und Schwächen für unterschiedliche Projektsituationen (z.B. bekannte vs. innovative Domäne, Anzahl der Stakeholder:innen, räumliche Verteilung) beschrieben werden.
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